„Kreuzweg = Lebensweg“ – 2. Fastenpredigt mit Diakon Aichner

Im Rahmen der diesjährigen Predigtreihe „Kreuzweg – Lebensweg“ hat Diakon Sebastian Aichner aus Regensburg das Thema „annehmen – tragen“ sehr eindringlich und authentisch dargelegt. Lesen Sie selbst nach!

Annehmen und Tragen

Predigt zur Fastenzeit 2019 in Waldsassen am Donnerstag, 21. März 2019

I. „Sollst warum nicht fragen“

Zu meiner Kinderzeit hing in meinem Elternhaus ein Bild. Es war darauf – eher als Silhouette – Jesus zu sehen, der mit der Dornenkrone auf dem Kopf, gebückt und einsam das Kreuz trägt. Daneben stand der Satz:
Sollst warum nicht fragen, er hat’s auch still und stumm getragen.

Auf mich wirkte die Szene und der Satz bedrückend.
Wenn es in der heutigen Fastenpredigt um „annehmen und tragen“ geht, wäre diese Sicht sehr verkürzt.

II. (Vor)schnelle Lösungen

Zunächst müssen wir aber festhalten: Uns Christen, besonders uns Katholiken, wird ja nachgesagt, mit dem Leiden nicht zimperlich zu sein: Musst halt Opfer bringen. Das muss man aushalten. Das Leben ist eben hart. Manchmal schwingt sogar ein gewisser Stolz mit, was eine oder einer nicht alles wegstecken kann.

Noch dazu wird diese Bürde vorschnell als „von-Gott-gewollt“ qualifiziert und so die damit verbundene Auseinandersetzung von vornherein erstickt. Bei dieser Haltung drängt sich einem der Verdacht auf, dass man mit allen Mitteln den ganzen Schmerz, das Drama des Lebens unter Verschluss halten will und sich ja nicht weiter damit auseinandersetzen muss. Außerdem: Wo bleibt hier der christliche Auftrag, Leid zu lindern?

Annehmen ist nicht resignieren. Annehmen ist nicht ein betäubtes Hinnehmen.

III. Kreuz

Wenn wir von „Kreuz annehmen“ sprechen, dann sind Brocken gemeint, die richtige Krater in unseren Lebensweg schlagen:
Eine unheilbare Krankheit: Du bekommst gesagt, dass in den nächsten Monaten und Jahren deine Kräfte schwinden, dass du gänzlich auf Hilfe angewiesen sein wirst.

Oder eine chronische Erkrankung: Obwohl du erst dreißig oder vierzig bist, musst du bis ans Lebensende mit diesen Medikamenten, mit diesen Nebenwirkungen, mit diesen Schmerzen und Einschränkungen leben müssen. Behinderung: Du wirst auf diese und jene Hilfe ein Leben lang angewiesen sein. Du wirst immer mind. die doppelte Energie aufbringen müssen, um das zu geben, was das alltägliche Leben einfach abverlangt.

Tod eines lieben Menschen: Du wirst es auch nach Jahren nicht begreifen, den Tod nicht akzeptieren können und dürfen. Es wird keinen Tag ohne Erinnerung geben. Sie könnten diese Reihe dieser Brocken, dieser Kreuze, die einer, die einem auf dem Lebensweg stehen verlängern.

IV. Zusätzliche Bürden – von außen

Überhaupt mit dem Ganzen umzugehen, ist eine immense Herausforderung. Da können von außen gute Ratschläge kommen oder Begegnungen, die aber den Schmerz noch verstärken. Betroffene Menschen sind äußerst dünnhäutig. Sie merken sofort, wenn jemand nur oberflächlich daherkommt.
Wenn einer kranken Frau, der jeder einzelne Tag eine große Kraftanstrengung bedeutet – wenn der vom Werbeplakat der Krankenkasse eine braungebrannte, modelhafte Erscheinung am Pool liegend vollmundig verkündet: „Ich tu‘ halt etwas für meine Gesundheit.“ Oder wenn Pflegeeinrichtungen mit pro Person zugewiesenen 10 qm Residenzen genannt werden.
Wenn Trauernden gesagt wird: Das Leben muss weiter gehen!
Das sind Erfahrungen wie Schläge ins Gesicht.

V. Inneres Ringen

Auch das eigene Innenleben rumort. Vielen Konjunktive quälen: Wenn das damals vor zehn Jahren anders gelaufen wäre, wenn ich da und dort anders gehandelt hätte. Zermürbend! Beschäftigungen und alltägliche Aktivitäten, die für viele selbstverständlich sind, gehen nicht. Im KH hat mir ein Patient gesagt: Es ist, wie wenn der Zugang zur normalen Lebenswelt, zum Freundeskreis plötzlich abgeschnitten ist. Das ist ungerecht, ich bin immer im Nachteil.
Auch die Zukunft macht Angst. Wie soll das weiter gehen? Wie soll ich das schaffen? Das ist kein Leben mehr.
Und freilich auch die Frage: Wie kann Gott das zulassen?
Für Christen ist dieses Leid, sind diese Brocken geronnen und verdichtet in dem Wort: Kreuz.

VI. Annehmen!?

Was heißt dann „annehmen“? Kann man es beschreiben? Kann man es anleiten? Es fällt schwer, hier eine umfassende Beschreibung zu geben. Ich will mit drei Aspekten eine Spur legen.

a) Erster Aspekt: Eigene Erfahrungen

Die Situation: Ich bin im Krankenhaus, im Aufwachraum, eine Rückenoperation war misslungen und ich hatte stärkste Schmerzen. Zwischen dem Wegdämmern durch die Schmerzmittel war diese innere Not: Warum ist es so gekommen? Wie geht es weiter? In diesem Chaos der Gedanken kam der Satz: „Es darf jetzt so sein.“ Mir hat diesen Satz der Seelsorger bei der Krankensalbung gesagt. „Es darf jetzt so sein.“ Mit diesem Satz, der jeden Atemzug begleitet hat, ist bei mir eine innere Ruhe eingekehrt. Ich habe zwar die Hektik des Personals um mich herum wahrgenommen. Aber ich war ganz bei mir. Die Schmerzen waren unverändert, aber der Moment, der gerade war, ließ sich für sich genommen schon aushalten. Und das reichte. Übertragen: Wenn die Vergangenheit dich zerfleischt und du vor Zukunftsangst zerfließt – es reicht die Gegenwart. Vielleicht ist es dann auch, wie Dämonen verschwinden und Ruhe einkehrt. Es darf jetzt so sein.

b.) Zweiter Aspekt: eine Person:

Die hl. Anna Schäffer von Mindelstetten, ist für mich ein Paradebeispiel des Annehmens: Mit einem Unfall war für die 18-Jährige das Leben gelaufen. Ohne finanzielle Absicherung, mit ständigen Schmerzen war sie bereits als junge Frau auf Hilfe angewiesen. 

Es hätte sicher auch bei ihr viele „wäre“ und „hätte“ gegeben. Etwa Schuldzuweisungen: Die mangelnde erste Hilfe, dann das Herumexperimentieren der Mediziner. Zu ihren Lebzeiten schon hat sie Menschen in ihrer Umgebung tief beeindruckt, wie sie mit dem Leiden umgegangen ist.

Es gibt Bilder von ihr, wo man eine Entwicklung ablesen kann. Waren auf den ersten Fotos zunächst ängstliche, sorgenvolle, traurige Augen da, liegt Jahre später eine Frau im Bett und wirkt sogar durch das Bild auf den Betrachter: versöhnt, stark, geradlinig, aufrichtig. In ihrer Nähe, erzählt man, haben sich einfach Kinder eingefunden, auf dem Boden gespielt. Sie hatte eine enorme Ausstrahlung. Was sich alles in ihren Innern abgespielt hat, darf ruhig Geheimnis bleiben. Das Zusammenwirken Gottes und des Menschen. Auf alle Fälle kam es dazu, dass sie eingewilligt hat in ihren Lebensweg, in die Ohnmacht, in das Erleiden, in das Ausgeliefertsein.

c) Dritter Aspekt: der Blick auf den Herrn.

Anna Schäffer ist gleichzeitig der Schlüssel für den dritten Aspekt: Der Blick auf den Herrn. Ich meine das nicht in dem Sinn: Mach es wie er! … Sollst warum nicht fragen…

Es geht tiefer: Wir glauben ja: Durch Jesu Kreuz und Leiden (und Auferstehung) ist Erlösung geschehen. – Dadurch also, dass Jesus seinen Weg konsequent gegangen ist, dadurch dass er das Kreuz auf sich genommen hat: Dadurch hat er gebrochenes Leben gültig gemacht. Er hat eingewilligt, zugestimmt, in diesen Marterweg zum Tod hin. Wir tun uns schwer, es in Worte zu fassen: Er hat Himmel und Erde versöhnt.

VII. Tragen

Damit hat er die Dynamik umgedreht. Da, wo wir scheinbar vom Leben abgeschnitten sind, wo Leben auf ein Minimum an Möglichkeiten reduziert ist, auf das allerletzte und alleräußerste, das hat er durch sein Leiden zum Brennpunkt des Lebens gemacht. Auf dieser Grundlage gilt: Ich kann und muss das Leben nicht in der Hand haben. Ich muss mir nichts vormachen. Ich darf mich auf die eigene Ohnmacht einlassen, ich darf einwilligen, die letzte Bestimmung über mich und die Welt abgeben zu müssen – und das ist wie ein Fallen in seine Hand.

Ich denke, nichts anderes heißt: Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten.

Was wir oft als Hauptsache sehen – Gesundheit, Reichtum, Ansehen – wird nachrangig. Es wird im Wortsinn relativ – es bekommt seinen Wert, ob es den Blick auf Jesus verstellt oder ermöglicht. Im Tragen wird uns Menschen unweigerlich, was tragfähig ist in unserem Leben und was zerläuft wie Sand.

Viele Heilige (Benedikt, Ignatius, Theresa von Avila) haben diese Erkenntnis im Lauf der Geschichte in Worte gefasst. Auch ein Blaise Pascal, von dem folgende Gedanken stammen:

Herr, ich weiß, dass ich nur eines weiß:
dass es gut ist, dir nachzufolgen,
und dass es schlecht ist, dir aus dem Weg zu gehen.
Sonst weiß ich nicht, was besser oder schlechter ist, was mir nützlich ist,
Gesundheit oder Krankheit, Reichtum oder Armut,
langes Leben oder Kurzes, Ansehen oder Verachtung
oder was immer von den Dingen dieser Welt.
(nach Blaise Pascal)

Das Annehmen und Tragen lehrt uns, dass nur eines zählt: dass ER da ist.